Das erste belegte deutsche Liebesgedicht schrieb eine Nonne an einen Geistlichen. Um das Jahr Anno 1180 geschah es, dass eine Nonne des Benediktinerklosters Tegernsee an einen Geistlichen, am Ende eines in Latein verfassten Briefes, das folgende Gedicht, in deutscher Handschrift schrieb:
Dû bist mîn, ich bin dîn.
des solt dû gewis sîn.
dû bist beslozzen
in mînem herzen,
verlorn ist das sluzzelîn:
dû muost ouch immêr
darinne sîn.
Da die Antwort auf diesen Brief im Besitz des Werinher von Tegernsee erhalten geblieben ist, wissen wir heute auch, was daraufhin geschah. Trotz seines geistlichen Gelübtes muss der Empfänger so hingerissen von den Worten gewesen sein, dass er begann in seinem nächsten Brief um die Nonne zu werben. Wer sich jedoch nun in Gedanken schon die heimliche Romanze der Beiden ausmalt, den muss ich an dieser Stelle enttäuschen. Denn in ihrer Antwort und dem damit letzten erhaltenen Brief der Beiden, weist die Nonne den Geistlichen klar ab. Sie hatte das Gedicht offenbar nur platonisch gemeint.